Nur für wenige Dinge auf der Welt sind Worte allein einfach nicht genug. Der Tanz gehört mit Sicherheit dazu.

Auch wenn du denkst, du hättest bereits alle Emotionen mit allen Facetten kennengelernt. Es gibt nichts, was dich mehr auf dich selbst zurückwirft, dich packt und loslässt zugleich. Der Tanz schickt dich ungefragt in deine eigene Lehre und will dabei alles von dir. Als würdest du noch einmal geboren werden, in eine weite Sphäre hinein, ohne Schutz oder Navigation. Und ohne die geringste Ahnung davon, wie du deinen Körper koordinieren, ja bewegen sollst, so ganz ohne Hülle, die dir fehlt. Denn hier – in diesem Raum – bist du nicht mehr und nicht weniger, als du selbst. Du wagst deine ersten Schritte, unwissend und nervös.

Und eine kluge Stimme, der du blind vertraust, macht dir Mut, es immer und immer wieder zu versuchen. Manchmal sind die Worte sanft und lassen dich kurz atmen, manchmal sind sie streng und von fast wütender Leidenschaft, die sich sofort auf dich überträgt. Weil du es doch unbedingt schaffen möchtest, hier und jetzt. Und dann weinst du wie ein Baby. Denn du willst fliegen lernen, aber deine Flügel flattern immer nur für ein paar Sekunden wild vor sich hin, bevor ihnen die Kraft ausgeht. Je nach dem, wie stark du dich gerade selbst fühlst, so klangvoll ist auch dein Instrument – dein Körper. Du willst ihm Töne entlocken, doch so oft bleibt er einfach nur stumm. Und dann beginnst du von vorn… immer wieder von vorn. Du wirst demütig, zornig, laut und dann wieder leise und immer wieder demütig. Die Stimme verlässt dich nie. Sie ist immer da und navigiert dich unermüdlich wieder und wieder durch den von dir eingenommenen noch so unbekannten Raum. Sie fordert dich mit entwaffnender Ehrlichkeit, die auch dich zur Ehrlichkeit zwingt.

Dein Spiegelbild macht dir nichts vor. Es lacht und weint dir entgegen, manchmal sogar im selben Moment und niemand hat dich darauf vorbereitet. Manchmal, du hattest schon gar nicht mehr daran geglaubt, hebst du vom Boden ab und fliegst. Du wirst wahnsinnig dabei vor Glück, in dieser einzigen… Sekunde. Du kannst sie nicht festhalten, aber das ist der Augenblick, in dem sie dich hat. Die Faszination des Tanzens. Sie bricht sich Bahn und nimmt dich mit auf eine Reise, die nie aufhören wird. Ohne Zeit zum Nachdenken. Du kannst ihr immer nur mit ehrlicher Haut begegnen.

Aber dann bist du Teil einer Welt, die dich nicht nur die Anmut und Perfektion deiner Bewegungen lehrt, sondern vielmehr vermag. Sie diszipliniert und erdet dich, sie fordert und formt dich – geistig, mental, körperlich. Das Streben nach dem nächsten – jedem noch so kleinen – Erfolg gibt und nimmt dir so viel. Und dabei inspiriert und erfindet dich jeder Moment neu. Das Lernen zu lernen ist deine Aufgabe. Zu scheitern mit aufrechtem Haupt. Aufmerksam zu sein, präzise und gefühlvoll. Ausgewählte Energien zuzulassen und andere auszublenden. Genau und achtsam den Raum zu nutzen und dabei konzentriert zu sein, beherrscht und leichtfüßig zugleich. 

Das Tanzen bringt mir auf eindrucksvolle Weise bei, respektvoll und dankbar zu sein. Jede Stunde, die ich im Ballettsaal verbringe, vermag Erstaunliches. Ohne die völlige Losgelassenheit von allem, was noch eine Minute vorher von größter Bedeutung war, funktionieren weder die Körperroutine noch das Fokussieren auf den Fortschritt. Ballett verlangt mentale Höchstleistung, Kraft, Balance, Meditation sowie Konzentration in einem. Der Körper ist immer nur so stark wie sein Geist. Der Tanz ist ein Spiegelkabinett der Seele. Ballett verändert. Verändert alles.

 
„Everyone has a way of expressing and communicating with their bodies. Classical ballet is an organized way to express feelings between human beings. People shouldn’t be afraid that they don’t understand ballet. It is not meant to be understood, it is meant to be enjoyed.“

(Angel Corella, Artistic Director Pennsylvania Ballet)